Die da oben gibt’s nicht

eingestellt von Daniela Toppel am 16. Januar 2020 | Kategorie: Allgemein

Die da oben gibt’s nicht

Christoph Köpernick (rechts) erklärt Redakteur Ralf Mielke (links) die Schönheit und Herausforderungen des Landlebens.

Die Sage will, dass einst der Teufel mehrere Edelleute in einen Sack steckte, um sie in der Hölle schmoren zu lassen. Als er auf dem Weg dorthin über das Havelland hinwegflog, streifte der Sack die Spitze eines Kirchturms und einige Edelleute fielen heraus. Sie gehörten zur Familie derer von Bredow und den Ort, an dem sie gelandet waren, nannten sie Friesack. Ihre Nachkommen regierten anschließend Jahrhunderte lang über den Landstrich.

Christoph Köpernick ist auf weniger abenteuerliche Weise nach Friesack gelangt. Der Berliner hatte genug von der Großstadt und suchte nach einem Ort in Brandenburg, an dem er leben und arbeiten konnte. Anfang Januar 2017 besuchte er zum ersten Mal Friesack, Ende Januar unterschrieb er den Vertrag für eine Mietwohnung. Köpernick packte seine Sachen und wurde Friesacker. Heute, kaum drei Jahre später, ist er ehrenamtlicher Bürgermeister der Gemeinde.

„Natürlich war das nicht geplant“, sagt Köpernick. „Ich habe lange darüber gebrütet, ob ich kandidieren soll.“ Er trat schließlich zur Wahl im Mai an und wurde mit knapp 60 Prozent der Stimmen gewählt. Es war der bisherige Höhepunkt einer Geschichte, die viel über die Möglichkeiten der Digitalisierung erzählt.

Ausgangspunkt dieser Geschichte ist ein digitales Netzwerk, das Innovation Hub Havelland (iHVL), das Christoph Köpernick 2018 gegründet hat. Es dient als eine Art Innovationslabor, in dem neuartige Arbeits- und Kooperationsmodelle ausprobiert werden können. Köpernick sagt: „Nauen ist Funkstadt, Rathenow Optikstadt. Warum kann Friesack nicht die Innovationsstadt sein?“

 

Digital den Anschluss halten

Für Menschen wie Köpernick wurde das Attribut „umtriebig“ erfunden. Mit 15 hat er seinen ersten Businessplan entwickelt. Seit er 16 ist, berät er Unternehmen in Sachen Internet. Er hat BWL studiert, seinen Bachelor in Medieninformatik gemacht und den Mastergrad mit dem Businessplan für eine Onlineplattform erlangt, die er bis 2017 betrieb. Er lehrt an der Steinbeis School of Management and Innovation im Fach Disruptive Innovation und gibt Strategie- und Kreativitäts-Workshops.

Ein Workshop des iHVL im Januar 2019 war es, der die Sache mit der Politik ins Rollen brachte. Die Teilnehmer trugen Ideen zusammen, wie sich Friesack entwickeln müsste, um für die Bewohner attraktiv und lebenswert zu sein. Es ging um Bildung, um Verkehr und digitale Infrastruktur, um lokale Wirtschaft und Stadtmarketing, um Themen also, die viele Brandenburger Gemeinden beschäftigen. Wie die Landflucht bremsen? Wie den digitalen Anschluss halten? Wie überhaupt etwas bewirken? Antwort: sich politisch engagieren. Das Bündnis für Friesack war geboren.

Das Protokoll des Workshops diente als öffentliche Diskussionsgrundlage. Es wurde zunächst in einer Chatgruppe ergänzt und verfeinert, schließlich auf einer Webseite veröffentlicht. Auf Facebook konnten Friesacker die Ideen kennenlernen und und kommentieren. Die öffentliche Debatte in den digitalen Medien vor den Kommunal- und Bürgermeisterwahlen im Mai mobilisierte die Bürger: Die Wahlbeteiligung lag um zehn Prozentpunkte höher als bei der vorherigen Wahl.

Unter der vielsagenden URL friesack. mit.vision hilft das iHVL der Politik und allen Bürgerinnen und Bürgern mit einem öffentlichen Forum. Auf der Internetplattform können die Friesacker nun Ideen, Wünsche und Lösungen zur Diskussion stellen, online Unterstützer dafür suchen oder umgekehrt bessere Entscheidungen unterstützen.

„Wir probieren so etwas wie digitale Demokratie in Friesack“, sagt Christoph Köpernick. „Die da oben, das gibt es nicht mehr. Wer Ideen hat und mitgestalten will, kann sich beteiligen.“ Er hat die jungen Leute im Blick, eine Art Jugendparlament schwebt ihm vor, digital vernetzt. „Die Jungen“, sagt Köpernick, „sie sind schließlich die Zukunft von Friesack.“

Dieser Artikel erschien auch im MBS-Kundenmagazin sans souci, Ausgabe Herbst 2019.

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